Lübeck,
20.6.2014
Bestand
an Sozialwohnungen bricht dramatisch ein
Thomas Klempau, DMB Mieterverein Lübeck
Lübeck hat einen steigenden Bedarf
an preiswerten Wohnungen. Für ein ausreichendes Angebot ist eine
Versorgungsquote an gebundenem Wohnraum von mindestens 10 Prozent des
Gesamtwohnungsbestandes notwendig. Das wären 11.500 Einheiten. Ende
2013 waren jedoch nur 10.000 Sozialwohnungen vorhanden, so dass schon
bisher 1.500 Einheiten fehlten.
Dieser Sozialwohnungsbestand wird
am 1.7.2014 schlagartig auf 7.600 Einheiten schrumpfen. Die Abgänge
werden am stärksten sein in der Innenstadt mit 224, in St. Lorenz Nord
mit 357 und in St. Gertrud mit 417 Einheiten. In Buntekuh werden sogar
832 Einheiten und damit etwa 75 Prozent des dortigen Sozialwohnungsbestandes
aus der Bindung fallen (Quelle).
Damit gelten für diese bisher preisgünstigen Wohnungen mit einer
Basismiete von meist € 4,95 pro Quadratmeter ab Juli die Regelungen
des freifinanzierten Wohnungsmarktes mit der Einschränkung, dass die
Miete innerhalb von drei Jahren um zunächst
nur 9 Prozent angehoben werden darf. Die
Einschränkung gilt jedoch nur bis zum 31.12.2018. Insofern ist es
möglich, die Miete dieser aus der Bindung fallenden Sozialwohnungen
innerhalb von viereinhalb Jahren um insgesamt 29 Prozent erhöhen zu
können, nämlich zum 1.7.2014 und 1.7.2017 um jeweils 9 Prozent sowie zum
1.1.2019 um weitere 11 Prozent, da zu diesem Zeitpunkt das
Vergleichsmietensystem uneingeschränkt gilt, wonach die Miete innerhalb
von drei Jahren um bis zu 20 Prozent erhöht werden darf, sofern die
ortsübliche Miete nicht überschritten wird. In den Beratungen des
Mietervereins sind bereits zahlreiche solcher Mieterhöhungsverlangen
mit einer Anhebung um 9 Prozent zum 1.7.2014 zur Prüfung vorgelegt worden.
Es wird nicht lange dauern, bis dieser wegbrechende Bestand an 2.400
vormals preisgünstigen Sozialwohnungen nicht mehr für einkommensschwache
Haushalte erschwinglich sein wird.
Eine solche Entwicklung ist alarmierend.
Es besteht dringender Handlungsbedarf, den rapiden Abschmelzprozess zu
kompensieren, um die steigende Zahl einkommensschwacher und am
Wohnungsmarkt benachteiligter Haushalte mit bezahlbarem Wohnraum
versorgen zu können. Nach den aktuellen statistischen Daten leben in
Lübeck 28.139 Personen in 15.536 Bedarfsgemeinschaften mit
Leistungsbezug nach SGB II
(Quelle).
Darüber hinaus gibt es 4.026 Bezieher von Grundsicherung im Alter
(2.563) und bei Erwerbsminderung (1.463)
(Quelle)
sowie 3.972 Wohngeldempfänger
(Quelle).
Hinzu kommt eine große Zahl von Menschen mit einem Einkommen knapp oberhalb der Grenze für
einen Leistungsbezug, die gleichermaßen auf preiswerten Wohnraum
angewiesen sind. Einkommensschwache Haushalte haben nicht nur aus
finanziellen Gründen erhebliche Probleme, eine Wohnung zu bekommen. Denn
nicht wenige Vermieter legen gerade bei dieser Nachfragergruppe strenge
Auswahlkriterien an.
Nach dem Ergebnis einer
Untersuchung des Pestel-Instituts
(Quelle)
werden im Jahr 2020 mehr als 4.500 Rentnerinnen und Rentner in Lübeck
auf die staatliche Grundsicherung im Alter angewiesen sein. Das würde
einen Anstieg noch in diesem Jahrzehnt um 75 Prozent bedeuten. Ein
dramatischer Anstieg von Altersarmut in Zeiten dramatisch abschmelzender
Sozialwohnungsbestände ist in mehrfacher Hinsicht beschämend. Ein
Sozialstaat muss es sich wert sein, Rahmenbedingungen zu setzen, die es
allen Menschen ermöglicht, den Lebensunterhalt mit ihrer
Erwerbstätigkeit bestreiten und möglichst lange und weitgehend
selbstständig in den eigenen vier Wänden wohnen zu können, ohne auf
Transferleistungen, Sozialkaufhäuser oder Suppenküchen angewiesen zu
sein.
Auslöser für die Beschleunigung im
Wegbrechen des Sozialwohnungsbestandes ist das
Schleswig-Holsteinische Wohnraumförderungsgesetz, welches am 1.7.2009 in Kraft trat und mit einer Übergangsfrist von 5 Jahren die vorzeitige Entlassung geförderter Altbestände
nach einer Bindungszeit von 35 Jahren ermöglicht (siehe
auch MieterZeitung August 2014). Dadurch
werden am 1.7.2014 landesweit schlagartig mehr als 15.000
Sozialwohnungen zusätzlich aus der Bindung fallen. Darüber hinaus
eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, Fördermittel auch
ohne Belegungsbindung vergeben zu können, womit die Nachhaltigkeit des
sozialen Wohnungsbaus ausgehöhlt wird.
Diese Rahmenbedingungen bieten
Potential für soziale Instabilität. Es besteht eine hohe Notwendigkeit
an Investitionen in die Schaffung neuer, gebundener und preisgünstiger
Wohnungen. Die Landesregierung legt den Schwerpunkt bei der Förderung
des Mietwohnraumes auf den Ersatzneubau von Beständen, die unter
energetischen Gesichtspunkten nicht mehr modernisierungsfähig sind. Das
bedeutet Abriss von Energieschleudern und Neubau auf Kosten des Staates
ohne effektiven Zugewinn an sozialem Wohnraum.
In Anbetracht des starken
Rückgangs an Sozialwohnungen und der Zunahme
einkommensschwacher Haushalte muss die Anzahl preisgebundener Wohnungen
deutlich erhöht werden, um die notwendige Versorgungsquote zu erreichen.
Als gesamtgesellschaftliche Aufgabe erfordert das erhebliche
Anstrengungen aller Akteure, die auf dem Wohnungsmarkt tätig sind und
soziale Verantwortung in der Wohnraumversorgung tragen. Die Stadt hat
Mitwirkungsrechte und
Steuerungsmöglichkeiten und kann darauf Einfluss nehmen, dass
Fördermittel dorthin gelangen, wo sie effektiv wirken können, nämlich in
erster Linie in der Neubauförderung anstatt in der Ersatzneubau- oder
Modernisierungsförderung. Wer öffentliche Mittel beantragt, muss zu
einer Aufstockung des gebundenen Wohnungsbestandes beitragen, und es
muss gewährleistet sein, dass öffentlich geförderte Wohnungen auch
preiswerte und bezahlbare Wohnungen bleiben.
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