Lübeck,
18. Oktober 2018
"Mottenkiste"
Thomas Klempau, DMB Mieterverein Lübeck
Die
Behauptung des VNW-Direktors Andreas Breitner (LN
v. 18.10.2018), dass die Lübecker Wohnungsbaugesellschaften bereit
seien, "jede Menge bezahlbare Wohnungen" zu bauen, wenn man ihnen dafür
die entsprechenden Baugrundstücke zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung
stellen würde, ist mit Blick auf die zurückliegenden zwei Jahre
bedauerlicherweise eindrucksvoll widerlegt. Denn bereits seit Juli 2016
gibt es in Lübeck eine Verbilligungsrichtlinie,
die es der Stadt ermöglicht, eigene Grundstücke deutlich günstiger an
Investoren verkaufen zu können. Wer sich verpflichtet, eine bestimmte
Quote an Wohnungen mit preisgünstigen Mieten auf den erworbenen Flächen
zu bauen, kann ein städtisches Grundstück bis zu 60 Prozent unter dem
Verkehrswert erwerben.
Wer hoffte, dass die
Wohnungswirtschaft jetzt mit voller Kraft durchstarten und "jede Menge"
Wohnungen mit bezahlbaren Mieten bauen würde, wurde bitter enttäuscht.
Ein solches Durchstarten hätte längst geschehen können, insbesondere
auch mit Blick auf die hervorragenden
Förderprogramme des Landes, die den Neubau von Wohnungen mit
bezahlbaren Mieten zu einträglichen Renditen ermöglichen. Stattdessen
fordert die Wohnungswirtschaft immer neue und zusätzliche Impulse von
Bund, Land und Kommunen, da sich der Bau von Wohnungen mit
preisgünstigen Mieten ansonsten nicht für sie lohne. Damit scheint sich
die Sorge zu bestätigen, dass es zunehmend nur noch darum geht, die
größtmögliche Rendite aus der Vermietung von Wohnraum zu erzielen und
nicht mehr darum, wie Haushalte mit finanziell eingeschränkten
Möglichkeiten mit für sie bezahlbaren Wohnungen versorgt werden können.
Hier und dort bewegt sich zwar etwas. Insgesamt gesehen geschieht aber
viel zu wenig.
Mit der
Verbilligungsrichtlinie hat die Lübecker Bürgerschaft einen starken
Anreiz gesetzt. Das Argument, hohe Grundstückserwerbskosten würden den
Bau von Wohnungen mit preisgünstigen Mieten nicht zulassen, greift daher
nicht durch. Von der Wohnungswirtschaft ist zu erwarten, dass sie ihrer
sozialen Verantwortung für eine am Bedarf orientierte Wohnraumversorgung
nachkommt, und zwar auch und insbesondere in den niedrigen
Mietpreissegmenten. Denn hier ist der Bedarf am größten.
Seit vielen Jahren bricht
der Bestand an Wohnungen mit Mieten auf Sozialwohnungsniveau von 5,95
Euro und unterhalb von 7 Euro nettokalt zunehmend weg. Gleichzeitig hat
die Nachfrage nach solchen Wohnungen deutlich zugelegt. Viele Haushalte,
und zwar oftmals auch solche, die nicht im Leistungsbezug stehen, können
sich schlichtweg keine höheren Mieten leisten oder schaffen das nur,
wenn sie beispielsweise bei Kleidung, Nahrung oder Hygiene sparen.
Gleichwohl wird das Angebot in diesem Mietpreissegment bei allem
Verständnis für die insoweit vorgetragenen Argumente nicht am steigenden
Bedarf ausgerichtet und entsprechend erhöht.
Die Folgen dieser
Entwicklung können wir und die vielzähligen
sozialen Beratungsstellen, die es in
der Hansestadt gibt, täglich hautnah in den Gesprächen mit betroffenen
Mieterinnen und Mietern erleben, und zwar in Form von Mieterhöhungen,
Eigenbedarfskündigungen, Kündigungen aufgrund von Mietrückständen, die
nach einer (Modernisierungs-) Mieterhöhung
aufgelaufen sind und nicht vermieden werden konnten, da es nicht gelang,
zeitnah eine andere und bezahlbare Wohnung zu finden. Selbst auf eine
Durchsetzung berechtigter Mangelbeseitigungsansprüche oder die
Inanspruchnahme von Mietminderungen wird bereits verzichtet aus Angst
vor einem Verlust der Wohnung bzw. einer entsprechenden Drohung, dass
man ja ausziehen könne, wenn es einem nicht mehr gefalle.
Dass der Bund und das
Land Schleswig-Holstein den Schwerpunkt beim Wohnungsbau weiterhin auf
die Eigentumsbildung legen und auf vermeintliche Sickereffekte
verweisen, halten wir für verfehlt und hilft nicht den Haushalten mit
eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten. Diese können sich regelmäßig
ohnehin kein Reihen- oder Einfamilienhaus leisten. Und Mietwohnungen,
die aufgrund eines Wechsels in Wohneigentum zur Neuvermietung anstehen,
werden insbesondere in einem angespannten Wohnungsmarkt nicht für
lediglich 6 Euro nettokalt vermietet, sofern Mietpreise von 8 Euro und
mehr realisierbar sind. Daher wird es bei lebensnaher Betrachtung kein
angebliches Durchsickern in die freigewordenen Wohnungen zu günstigen
Mieten geben.
Zu einer
verantwortungsvollen Wohnungspolitik gehört eine am Bedarf orientierte
Wohnraumversorgung. Auf kommunaler Ebene gibt es durchaus Möglichkeiten,
Rahmenbedingungen hierfür setzen und Einfluss auf Entwicklungen des
regionalen Wohnungsmarktes nehmen zu können. Hier sehen wir uns berufen
und legitimiert, Anregungen zu geben und
Handlungsempfehlungen auszusprechen. Natürlich wollen wir mit dem
Thema Fehlbelegung keine Neiddebatte vom
Zaun brechen und uns stattdessen Gedanken machen, wie künftig
gewährleistet werden könnte, dass gebundene Wohnungen, die fehlbelegt
sind, für die Versorgung bedürftiger Haushalte – und dafür sind sie
schließlich gebaut bzw. in die Bindung gebracht worden – verfügbar
gemacht werden können, ohne jemanden aus seinem sozialen Umfeld zu
vertreiben und ohne Gebiete mit einer hohen Sozialwohnungsdichte durch
einen Wegzug von Fehlbelegerhaushalten zu destabilisieren. Genau hierin
besteht ja gerade der Unterschied zu dem Konzept aus der Mottenkiste,
welches Herr Breitner so vehement anprangert.
Sollte es weiterhin nicht
gelingen, den Bau von Wohnungen zu Mieten im unteren und mittleren
Preissegment trotz äußerst attraktiver Förderinstrumente ankurbeln zu
können, sind zeitgemäße Konzepte gefordert, um soziale Verwerfungen zu
vermeiden, und zwar durchaus auch solche, die sich an den Strukturen bis
zur Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit Ende der 1980er Jahre
orientieren, als das Gemeinwohlinteresse in der Wohnraumbewirtschaftung
wichtig war und eine tragende Säule in der Wohnraumversorgung
darstellte. In Anbetracht einer stetig ansteigenden Nachfrage nach
Wohnungen mit preisgünstigen Mieten und eines Wohnungsmarktes, der nicht
in der Lage ist, hier ein ausreichendes Angebot vorzuhalten, steigt die
Notwendigkeit zum Aufbau eines Wohnungsmarktsegments mit dauerhaft dem
Gemeinwohl verpflichteten Unternehmen als Gegenstück zu einer
Immobilienwirtschaft, die den Fokus immer stärker auf rendite- und
finanzmarktorientierte Gesichtspunkte legt und entsprechend agiert.
Hier ein
Leserbriefbeitrag von
Eileen Munro, Vorsitzende Mieterverein Lübeck
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