Lübeck, 24.8.2020

Normenkontrollverfahren zugunsten der Stadt beendet

Thomas Klempau, DMB Mieterverein Lübeck

 

Im Kalkulationszeitraum 2010 bis 2012 erwirtschafteten die Entsorgungsbetriebe Lübeck im Bereich Straßenreinigung und Winterdienst ein Defizit von rund 3,3 Mio Euro. Diese Unterdeckung wurde im Jahr 2013 festgestellt. In § 6 Absatz 2 Satz 9 Kommunalabgabengesetz (KAG) steht (verkürzt):

"Eine sich am Ende des Kalkulationszeitraums ... ergebende Kostenunterdeckung ist innerhalb der auf die Feststellung der Unterdeckung folgenden drei Jahre auszugleichen."

Es stellte sich die Frage, bis wann das Defizit in Höhe von 3,3 Mio Euro auszugleichen ist bzw. was "ist auszugleichen" im Sinne des § 6 Abs.2 S.9 KAG überhaupt bedeutet.

1. Verfahren

Am 27.11.2014 beschloss die Bürgerschaft eine Gebührensatzung für Straßenreinigung und Winterdienst, die am 1.1.2015 in Kraft trat. Die der Gebührenbemessung zugrunde liegende Kalkulation umfasste die Periode 2015 bis 2017 und beinhaltete das Defizit aus dem Zeitraum 2010 bis 2012 von 3,3 Mio Euro. Gegen die Satzung wurde eine Normenkontrollklage von einem Hauseigentümer erhoben, der von einem Verbund aus Wohnungsunternehmen, Haus&Grund, Mieterverein und Verband Wohneigentum unterstützt worden ist. Mit Urteil vom 15.5.2017 (2 KN 1/16) stellte das OVG Schleswig fest, dass die Bemessungsgrundlagen für die Straßenreinigungs- und Winterdienstgebühren unwirksam sind und führte aus, dass der Ausgleich einer Unterdeckung innerhalb der Dreijahresfrist des § 6 Abs.2 S.9 KAG bewirkt worden sein muss und dass dem nicht genüge getan sei durch Erlass einer entsprechenden Gebührensatzung und Beginn des Ausgleichs innerhalb der Ausgleichsfrist.

Nach unserer Lesart des Urteils war demnach entscheidend, ob eine den Ausgleich regelnde Satzung bis zum Ablauf der Ausgleichsfrist, also bis Ende 2016 erlassen wird und ob der Ausgleich des Defizits in Höhe von 3,3 Mio Euro bis Ende 2016 mehr als nur begonnen hat, zumal lediglich der Beginn des Ausgleichs gemäß OVG-Urteil nicht genügt.

2. Verfahren

Am 12.12.2017 beschloss die Bürgerschaft eine neue Gebührensatzung für Straßenreinigung und Winterdienst, die rückwirkend zum 1.1.2015 in Kraft trat. Die der Gebührenbemessung zugrunde liegende Kalkulation umfasste jetzt die um ein Jahr verkürzte Periode 2015 bis 2016 und beinhaltete wieder das Defizit aus dem Zeitraum 2010 bis 2012 von 3,3 Mio Euro. Gegen die Satzung erhob der Mieterverein Klage mit dem Hinweis auf das OVG-Urteil vom 15.5.2017, dass der Ausgleich des Defizits aus der Periode 2010 bis 2012 bis Ende 2016 hätte bewirkt, mithin wirtschaftlich-faktisch abgeschlossen worden sein müssen. Es dürfte nicht zulässig sein, knapp ein Jahr nach Ablauf der Dreijahresfrist Versäumnisse aus der Vergangenheit bereinigen zu wollen mit einer nachkalkulierten Gebührenerhebung für eine nachträglich verkürzte Kalkulationsperiode. Bei § 6 Abs.2 S.9 KAG handelt es sich u.E. nicht um eine Regelung für die Begrenzung von Kalkulationsperioden, sondern um eine Ausschlussfrist, die vorgibt, bis wann der Ausgleich eines Defizits oder eines Überschusses wirtschaftlich-faktisch zu bewirken ist.

In der Verhandlung am 12.6.2020 sah das OVG Schleswig das anders. Für das Bewirken eines Ausgleichs sei es ausreichend, den Ausgleich im Rechtssinne und nicht wirtschaftlich-faktisch vorzunehmen. Das geschehe durch kalkulatorische Berücksichtigung der festgestellten Unterdeckung in den Gebührensätzen und Inkrafttreten einer den Ausgleich vollständig innerhalb des dreijährigen Ausgleichszeitraums regelnden Satzung. In der Satzung vom 12.12.2017 sei das beachtet worden, da die der Gebührenbemessung zugrunde liegende Kalkulationsperiode nur bis Ende 2016 reiche. Es erging das Urteil vom 12.6.2020 (2 KN 2/18). Die Revision wurde nicht zugelassen.

Anmerkung

Die Rechtsauffassung des OVG war überraschend und steht nicht im Einklang mit Inhalt und Kontext des Urteils vom 15.5.2017. Nach unserer Ansicht soll die Fristenregelung des § 6 Abs.2 S.9 KAG dazu beitragen, dass Gebührenschuldner in einer zeitlich überschaubaren Nähe im Falle eines Gebührenüberschusses entsprechende Gebührenentlastungen erfahren oder im Falle eines Gebührendefizits nicht mit Gebührenforderungen belastet werden, die aus weit zurückliegenden Kalkulationsperioden herrühren. Den Gesetzesmaterialien kann leider nicht entnommen werden, was mit der Wendung "ist auszugleichen" konkret gemeint ist. Die Annahme, dass es sich nicht um eine Ausschlussfristregelung handeln würde, wie wir sie z.B. im Betriebskostenrecht in § 556 Abs.3 S.3 BGB vorfinden, und es stattdessen einer Gemeinde möglich sei, grundsätzlich jederzeit Versäumnisse aus der Vergangenheit bereinigen und das Zeitrad auch nach Jahren noch zurückdrehen und Gebühren solange nachkalkulieren zu können, bis es passt, ist keineswegs selbstverständlich.

Ausblick

Gebührenadressaten, die gegen ihre Bescheide, die auf Basis der Satzung vom 12.12.2017 erlassen worden sind, Widerspruch und Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) Schleswig erhoben  und den Widerspruch ausschließlich auf den Regelungsgehalt des § 6 Abs.2 S.9 KAG gestützt haben, werden die beim VG anhängige und bis zum Urteil des OVG ruhende Klage inzwischen zurückgenommen haben. Damit werden die angefochtenen Gebührenbescheide rechtskräftig. Die festgesetzte Straßenreinigungs- und Winterdienstgebühr war ohnehin bereits Anfang 2018 zu entrichten, da Widerspruch und Klage gegen den Bescheid keine aufschiebende Wirkung haben.

Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis:

"Dass ein Defizit innerhalb einer bestimmten Frist auszugleichen ist, bedeutet zumindest im Kommunalabgabenrecht noch lange nicht, dass es bis dahin auch beglichen worden sein muss."

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