Lübeck, 4.7.2018
Kein Zusatzneubau bei
preisgünstigen Wohnungen
Thomas Klempau, DMB Mieterverein Lübeck
LN-Artikel vom
10.7.2018
Anfang Juli 2018 bat die Lübecker Nachrichten um eine Stellungnahme, "ob
der Mieterverein eine Erklärung dafür habe,
dass in Lübeck der dringend benötigte Wohnungsbau nachlässt statt
zuzunehmen." Hier die Antwort:
"Das ist in der Tat eine
besorgniserregende Entwicklung, zumal sich die Neubautätigkeit in
Lübeck mit Blick in den Wohnungsmarktbericht 2017 in den vergangenen Jahren ohnehin sehr
mau darstellt, was folgende Zahlen belegen:
2012: 462 (davon 175 in Gebäuden mit 1 oder 2
Wohnungen)
2013: 160 (davon 48 in Gebäuden mit 1 oder 2
Wohnungen)
2014: 468 (davon 271 in Gebäuden mit 1 oder 2
Wohnungen)
2015: 93 (davon
40 in Gebäuden mit 1 oder 2
Wohnungen)
2016: 840 (davon 224 in Gebäuden mit 1 oder 2
Wohnungen)
2017: 471 (davon 113 in Gebäuden mit 1 oder 2
Wohnungen).
Die genannten
Baufertigstellungszahlen beinhalten auch den
Ersatzneubau, der faktisch regelmäßig keine Erweiterung des
vorhandenen Wohnungsbestandes mit sich bringt. Der wirkliche Zugewinn
an Wohnungen, die es zahlenmäßig vorher nicht gab, fällt also deutlich geringer
aus und findet zu einem großen Teil (66%) im Einfamilien-, Zweifamilien- und
Reihenhausbau statt mit entsprechend hohen Miet- oder Kaufpreisen, die
für Haushalte mit finanziell eingeschränkten Möglichkeiten meist nicht
erschwinglich sein dürften.
Die
Leerstandsquote ist in Lübeck von 2016 zu 2017 von 2,2 auf 1,8 Prozent
zurückgegangen. Bereits eine Leerstandsquote von unter 3 Prozent ist
ein Indikator für einen angespannten Wohnungsmarkt. Denn man benötigt
als sog. Fluktuationsreserve eine Leerstandsquote von mindestens 2,5
Prozent, damit Umzugsketten einigermaßen funktionieren. Eine
Quote von derzeit nur noch 1,8 Prozent bringt deutlich zum
Ausdruck, dass wir es in Lübeck inzwischen mit einem sehr angespannten
Wohnungsmarkt und in einigen Segmenten (z.B. kleine
Wohnungen bis 50 m²) bereits mit einer Wohnungsnot zu tun haben.
Dort, wo die
Nachfrage am höchsten ist, nämlich bei Mietwohnungen mit Kaltmieten
auf Sozialwohnungsniveau von 5,95 Euro für Personen, die
im Leistungsbezug stehen oder mit Kaltmieten von bis zu 7 Euro für Personen mit mittleren Einkommen, wird seit Jahren
bedauerlicherweise viel zu wenig gebaut. Wenn in diesem Bereich
Aktivitäten stattfinden, dann handelt es sich meist um Ersatzneubau,
was bedeutet, dass zunächst ein in die Jahre gekommener
Wohnungsbestand von beispielsweise 100 Einheiten mit bisherigen
Kaltmieten von 5 bis 6 Euro abgerissen und an gleicher
Stelle 90 Einheiten neu errichtet werden, von denen bestenfalls die
Hälfte, meist jedoch nur 10 bis 20 Prozent öffentlich gefördert sind mit 5,95 Euro Kaltmiete und für den
großen Rest Kaltmieten von 10 Euro und mehr verlangt
werden. Unter dem Strich erfolgt in
Lübeck - sofern im preisgünstigen Mietwohnungssegment etwas geschieht
– in Wirklichkeit allenfalls ein Ersatzneubau (anstatt Zusatzneubau)
und damit faktisch eine kontinuierliche Reduzierung des Bestandes an
preisgünstigen Wohnungen unter Einsatz öffentlicher Mittel.
Besonders
fatal ist diese Entwicklung vor dem Hintergrund, dass die
Einwohnerzahl in Lübeck innerhalb der vergangenen vier Jahre um etwa
6.000 Personen angestiegen ist und im gleichen Zeitraum die Anzahl der
Leistungsbezieher um 5.000 Personen zugelegt hat. Auch diese Zahlen
verdeutlichen, dass ein Zusatzneubaubedarf insbesondere im Bereich
preisgünstiger Wohnungen dringend notwendig ist. Im
Wohnungsmarktbericht 2017 wird dieser mit 3.900
Einheiten (ohne Ersatzneubau!) prognostiziert und darauf hingewiesen,
dass der Schwerpunkt des benötigten Zusatzneubaus bereits 2020
erreicht ist. Bei einer Neubautätigkeit in den vergangenen Jahren von
durchschnittlich etwa nur 415 Wohnungen inklusive Ersatzneubau ist
daher absehbar, und zwar nicht erst seit dem Wohnungsmarktbericht
2017, dass die bereits vorhandenen Anspannungen zwangsläufig deutlich
zunehmen und die Mieten weiter stark ansteigen werden.
Politik und
Wohnungswirtschaft kennen die Zahlen und die Entwicklungen. Das Land
Schleswig-Holstein hält ein beachtlich großes Fördervolumen mit
hervorragenden Förderbedingungen zum Bau von Sozialwohnungen bereit,
welches nur spärlich von Investoren in Anspruch genommen und wenn,
dann fast ausschließlich nur im Ersatzneubau oder im Bereich von
Modernisierungen eingesetzt wird, wodurch nicht eine einzige
zusätzliche preisgünstige Wohnung auf den Markt kommt (siehe oben).
Der Bund
blockiert seit Jahren eine Mietrechtsreform, die unter anderem die
Wiedereinführung einer Wohnungsgemeinnützigkeit 2.0 beinhaltet, also
die Wiedereinführung einer stabilisierenden Säule mit einem
ausreichenden Bestand an preisgünstigen Wohnungen, die dauerhaft und
nicht nur für eine bestimmte Laufzeit von beispielsweise 15 oder 20 Jahren
preisgünstig bleiben. Die Wohnungsgemeinnützigkeit gab es bereits in
Deutschland über einen Zeitraum von 100 Jahren und wurde Ende der
1980er Jahre leichtfertig und mit fatalen Folgen aufgegeben, die heute
immer deutlicher spürbar werden.
Ministerpräsident Daniel Günther verkündete auf dem Landesverbandstag
des DMB Mieterbundes Schleswig-Holstein im März 2018 in Pinneberg,
dass er den Schwerpunkt nicht auf Sozialwohnungsbau, sondern eher auf
Eigentumsbildung lege und nichts von Regulierungsinstrumenten wie
Kappungsgrenzen-, Mietpreis- oder
Zweckentfremdungsverordnung halte. Stattdessen werde sich die
Landesregierung andere Dinge überlegen, damit eine ausreichende Anzahl
bezahlbarer Wohnungen entstehen kann. Welche das sein sollen, nannte
er nicht und ist auch bisher nicht damit herausgerückt.
Die
Verbilligungsrichtlinie ist in Lübeck seit Juli 2016 in Kraft und wird
von der Wohnungswirtschaft bisher kaum in
Anspruch genommen.
Es zeigt
sich, dass die Politik auf Bundes- und Landesebene und die gewerbliche
Wohnungswirtschaft bisher viel zu wenig unternimmt oder plant, was in
absehbarer Zeit zu einer spürbaren Verbesserung des Angebotes an
bezahlbaren Mietwohnungen führen könnte. Nach außen wird zwar
kommuniziert, dass die zunehmend angespannte Wohnungsmarktlage in den
Städten bekannt sei und dagegen etwas unternommen werden müsse.
Geschehen tut insoweit jedoch nichts. Möglicherweise ist es in
Wirklichkeit gar nicht gewollt oder die Situation wird nicht ernst
genommen oder die Not tausender Mieterhaushalte, die nicht mehr
wissen, wie sie ihre drastisch gestiegenen Mieten bezahlen sollen,
wird in Kauf genommen und anderen priorisierten Interessen geopfert.
Die
Wohnungswirtschaft hält sich zurück, beklagt langwierige
Baugenehmigungsverfahren, gestiegene energetische Anforderungen und damit einhergehende gestiegene Baukosten bzw. ohnehin
ansteigende Bau- und Grundstückspreise und dass man selbst dann, wenn
man mehr bauen wollte, kaum noch eine Firma finde, die ein
Bauvorhaben zu einigermaßen erschwinglichen Preisen umsetzen würde.
Unter dem
Strich laufen wir wohl unausweichlich und sehenden Auges in eine
Wohnungsmarktsituation hinein, die in den kommenden Jahren noch
deutlich mehr Anspannungen aufweisen wird, als es jetzt schon der Fall
ist. Hinzu kommt, dass der Wegfall an preisgünstigen Wohnungen
aufgrund von auslaufenden Bindungen und umfassenden
Modernisierungsmaßnahmen mit Mieterhöhungen von bis zu 50 Prozent
ebenfalls deutlich zunehmen wird.
Am 4. Juli 2018 fand ein gut
zweistündiges Gespräch mit Herrn Schiller (Geschäftsführer Vonovia
Geschäftsbereich Nord) und Herrn Bartels (Regionalleitung Vonovia
Region Kiel/Lübeck) im Hause des Mietervereins statt. Bei diesem Treffen
haben wir erfahren, dass die Vonovia
ihre Modernisierungstätigkeit im Bereich ihres
Lübecker Wohnungsbestandes, der durch die Übernahme der Buwog-Wohnungen im März 2018 auf 7.700 Einheiten gestiegen
ist, in den kommenden Jahren intensiv fortsetzen und hinsichtlich der Volumina
steigern wird. Auf die insgesamt etwa 400 Wohnungen aus den
Gebieten Brüder-Grimm-Ring, Gneisenaustraße, Wendische Straße,
Märkische Straße, Hansering und Pommersche Straße mit
Mieterhöhungen von bis zu 180 Euro pro Monat (!) ist an
dieser Stelle zu erinnern, die in 2017 und 2018 modernisiert worden
sind bzw. zum Teil gerade von Vonovia modernisiert werden.
Diese
diametral gegenläufige Entwicklung von zunehmend wegbrechendem
preisgünstigen Wohnungsbestand und zunehmenden Anstieg der Nachfrage
nach preisgünstigem Wohnraum müsste doch Anlass genug sein für alle
Politik- und Wohnungsmarktakteure und auch für die Bauwirtschaft, die
Ärmel hoch zu krempeln, Personal aufzustocken und die Weichen in eine
Richtung zu stellen, die nicht in einer dramatischen Wohnungsnot mit
Wuchermieten, protestierenden Menschenmassen und chaotischen Zuständen
mündet.
Warum
geschieht dennoch nichts? Vielleicht ist es der Zeitgeist oder vielleicht hat man sich an
beklagenswerte Zustände gewöhnt, wie beispielsweise das Ertrinken von tausenden flüchtenden Menschen, worüber man vor einigen
Jahren noch schockiert gewesen wäre, oder vielleicht braucht es auch
erst einen lauten Protest in der Bevölkerung mit
großen Demonstrationszügen, die durch die Straßen ziehen, bevor sich
etwas zum Positiven verändert. In Berlin hat es vor einigen Wochen
einen Protest gegen die dortigen Wuchermieten mit etwa 25.000
Teilnehmenden und kurz danach in Hamburg eine Veranstaltung mit etwa
8.000 Teilnehmenden gegeben. Die ersten Vorboten sind also bereits
sichtbar und ich hoffe im Interesse der unter der zunehmend
angespannten Wohnungsmarktlage leidenden Menschen und
sozialen
Einrichtungen, dass es nicht die einzigen und letzten Protestaktionen
bleiben werden."
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